Europas Engagement zur Rettung der Flüchtlinge ist für viele Araber und Muslime eine Parteinahme für den Erzfeind
Syria Times: westliche Verschwörung beklagt / Coalition of Humans: ...während Russland für seine Intervention gewürdigt wird / Alalam, Tehran: die sunnitischen, arabischen Monarchien sowie die Türkei hätten ISIS zur Welt gebracht / ...somit tragen sie Mitverantwortung für die Verbrechen des neuen Kalifats
In Europa wird heftig und leidenschaftlich über die Aufnahme von arabischen Flüchtlingen debattiert. In mehreren arabischen Ländern und in weiten Teilen der muslimischen Welt betrachtet man dieses europäische Engagement äusserst skeptisch. Denn: die massive Flucht der Menschen nach Europa ist das direkte Ergebnis von blutigen Konflikten, in die verschiedene Gruppen von Arabern bzw. gläubige Muslime verwickelt sind. Die europäische, rein humanitäre Anstrengung zugunsten der vielen Migranten wird vielfach als Parteinahme für die eine oder andere Seite verstanden. Das kommt nicht unbedingt gut an.
Ein krasses, aktuelles Beispiel ist die Haltung des syrischen Regimes von Präsident Bashar Assad. Aus seiner Sicht ist die gute Behandlung von syrischen Flüchtlingen ein weiteres Zeichen für die Unterstützung der Rebellen, die für Damascus durchweg als Terroristen gelten. Der Westen, so behaupten regierungstreue Medien (siehe Galerie oben), hätte durch seine massive Hilfe an die Rebellen den Krieg erst entfacht. Nun muss er mit den schlimmen Konsequenzen fertig werden - wozu auch die Aufnahme von Flüchtlingen gehört. Dabei deuten die syrischen Medien an, dass sich unter den vielen Migranten, die nach Europa kommen, sicherlich auch gewaltbereite Islamisten befinden.
Verschwiegen wird von Assad und seinen Gefolgsleuten, dass das syrische Regime planmässig ganze Stadtteile entvölkert, in denen die meist sunnitische Bevölkerung die Rebellen unterstützt. Das gilt sowohl für die Großstadt Aleppo im Norden als auch für die Hauptstadt Damascus. Die systematische Vertreibung von vielen Sunniten erfolgt mit der Unterstützung der schiitischen Macht Iran, die im syrischen Bürgerkrieg auf der Seite von Assad kämpft, um die Dominanz der alawitischen Minderheit (die der schiitischen Glaubensrichtung zugerechnet wird) zu zementieren.
Unter den Syrien-Flüchtlingen, die in Europa ankommen, befinden sich auch viele Kurden. Diese Volksgruppe verfügt über eine eigene militärische Struktur und bekämpft wirksam die IS-Truppen im Irak und auch in Syrien. Doch für Assad stellen die Kurden ein Problem dar, da sie Autonomie oder gar Unabhängigkeit verlangen. An dieser Stelle hat Assad gemeinsame Interessen mit dem Nachbarland Türkei, das ebenfalls in den Kurden eine Gefahr sieht und ihre militärische Infrastruktur vehement bekämpft. Dieses ist nur ein Beispiel für die verwirrende Situation, die es für westliche Beobachter schwer macht, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden.
Die schiitische Hauptmacht Iran versucht unterdessen, in dieser komplexen Lage an mehreren Fronten zu punkten. In Syrien und im Irak sind iranische "Berater" oder gar Kämpfer im Einsatz, um das sunnitische Kalifat zu beseitigen. Dabei hofft Tehran, durch dieses militärische Engagement seine schiitische Glaubensrichtung in weiten Teilen der Region als die dominante Macht zu befestigen. Die Verantwortung für die Flüchtlingsmisere schiebt der Iran dem Westen sowie den sunnitischen Staaten zu, die nach der Lesart der Tehraner Regierung das sunnitische Kalifat eigentlich gegründet hätten. Gleichzeitig verstärkt der Iran seine Hilfe für die schiitischen Rebellen im Yemen und versucht, auch dieses Land unter seinen politischen und religiösen Einfluss zu bringen.
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Schlagwörter: "berater", kalifat, migranten, parteinahme, schiitische macht, vertreibung der sunniten
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