Die Ukraine-Lektion: Status quo ohne Krieg ist besser als Zehntausende Tote und Millionen Flüchtlinge
ForUm: unter welchen Umständen wurde gemordet? / Bürgerkrieg heißt hier anti-Terror Operation / Revolution in Kiev gefeiert / Gorod: Funkstille im zerstörten Donetsk
In diesen Tagen feiert die Ukraine die Revolution, die die Lage in dem osteuropäischen Land nachhaltig geändert hat. Doch gibt es tatsächlich Grund zu feiern? Wurde die Korruption überwunden? Gibt es heute mehr Freiheit? Wie ist es um den Zusammenhalt der Ukraine bestellt? Funktioniert die Wirtschaft besser oder schlechter als vorher? Gibt es mehr oder weniger Wohlstand? Hat sich die Situation für die Menschen insgesamt verbessert oder verschlechtert?
Die Antwort auf diese Fragen fällt leider sehr düster aus - und zwar in allen benannten und in vielen weiteren Kategorien. Beim besten Willen und auch mit viel Zuversicht und Optimismus kann man nicht behaupten, dass es der Ukraine und ihren Bürgern heute besser geht als vorher. Leider muss man feststellen, dass die Revolution in einer schlimmen Tragödie für Millionen von Menschen mündete. Weit und breit gibt es wenig Hoffnung. Die Ukraine blutet und sucht ihren Weg in einem gefährlichen politischen Minenfeld, das voraussichtlich auch noch in mehreren Jahren nicht geräumt werden kann. Die Bilanz ist katastrophal.
Die Revolution weckte viel Sympathie und hat authentische Mißstände zum Vorschein gebracht. Insofern hatte sie zweifelsohne ihre Berechtigung. Auch und gerade im westlichen Ausland konnte man die Menschen sehr gut verstehen, die auf die Straße gingen, um ihr eigenes Land wieder zu reklamieren. Man konnte sich zurecht mit ihnen identifizieren und wollte ihnen viel materielle und moralische Hilfe zukommen lassen. Man wünschte den Bürgern Glück und Erfolg mit ihrem Versuch, die Ukranie zu reformieren und aus dem riesigen Land ein besseres und gerechteres Zuhause zu machen. Für eine gewisse Zeit der Begeisterung lag die Ukraine uns allen am Herzen.
Doch etwas ist von Anfang an gründlich schiefgelaufen. Die Revolutionäre in Kiev haben es versäumt, die komplizierte Geschichte ihres Landes in den Vordergrund zu stellen und sie in ihren Handlungen ausreichend zu berücksichtigen. Sie wurden zudem von westlichen Politikern und Institutionen sowie Staaten ermuntert, an die Neugestaltung des Landes unverantwortlich und einseitig heranzugehen. Die Identitätskrise war somit vorprogrammiert. Ziemlich bald hat sich herausgestellt, dass die Freiheitsbewegung zu einer Kraft wurde, die die alte innere Spaltung des Landes förderte. Die Ukraine wurde abermals zum Zankapfel zwischen Ost und West - sowohl im Inneren als auch im gesamteuropäischen oder gar globalen Kontext.
Heute zählt die Ukraine Zehntausende Tote. Millionen Menschen sind obdachlos geworden. Die territoriale Integrität des Landes ist wohl für immer verloren. Zwischen den westlich bzw. östlich orientierten Teilen des Landes ist ein tiefer Graben entstanden, der nicht mehr zu überwinden ist. Diejenigen, die den Status quo zurecht ändern wollten, haben sehr unbedacht gehandelt. Das katastrophale Ergebnis sehen wir täglich in Berichten, die uns die Brutalität des Krieges schildern.
Aus dieser schlimmen Erfahrung kann man verschiedene Konsequenzen ziehen. Eine davon lautet: Ein unbefriedigender Status quo ohne Krieg ist wohl besser als ein Waffengang, bei dem die illusionären Vorstellungen ohnehin nicht realisiert werden können. Kleine Schritte zum Abbau von Spannungen können eher Verbesserungen bringen als große und risikoreiche Veränderungen, die Extremismus und Gewaltanwendung Tür und Tor öffnen.
Lesen Sie bitte hier weiter:
Krieg in der Ukraine: Den historischen und demografischen Umständen muss Rechnung getragen werden
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Schlagwörter: gründlich schiefgelaufen, Identitätskrise, status quo, tiefer Graben, Ukraine blutet, ukraine-lektion
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