Ballons in Berlin: Feiern ohne Realitätsverlust

Berlin - das offizielle Hauptstadt Portal: nun soll auch die Mauer der Resignation in die Luft aufsteigen  (Fotos: Berlin.de Kultur - Installation Lichtgrenze)



Neulich landete ich in Berlin nach einer kurzen Auslandsreise. Die Passagiere wurden im Flughafen Schönefeld durch mehrere, extrem schmale Gänge geschleust. Es gab Treppe rauf und Treppe wieder runter, was das Tragen der Handtaschen für ältere Menschen besonders erschwerte. Endlich erreichten wir die Halle, in der das Gepäck abgeholt werden konnte. Alles lief extrem langsam. Die Räumlichkeit wirkte marode und trostlost.



Ein Fluggast aus den USA staunte und fragte, ob wir uns tatsächlich am Tor zur Hauptstadt Deutschlands befinden. Als Wahlberliner musste ich die Aufklärungsarbeit übernehmen und sagte entschuldigend: "Das ist vielleicht das letzte Überbleibsel aus DDR Zeiten. Ein neuer, moderner und der Hauptstadt angemessener Flughafen wird nebenan errichtet. Wollen wir hoffen, dass er nicht in allzuferner Zukunft seinen Betrieb aufnehmen kann".

Ehrlich gesagt war ich von meiner eigenen Aussage nicht ganz überzeugt. Erfahrene Berliner (ich bin es auch inzwischen) erleben häufig Skandale und Korruptionsaffären - leider nicht nur was den neuen Flughafen angeht. In vielen Bereichen sind die Zustände direkt unerträglich. In meinem eigenen Wohngebiet kann ich ein Lied davon singen. Hin und wieder habe ich auch an dieser Stelle darüber berichtet..

Es ist schön für uns alle, dass die Mauer fiel und die Bewegungsfreiheit gesichert ist. Doch mit den vielen, häufigen Pannen im Nahverkehr in dieser Stadt muss man sich nicht unbedingt abfinden. Im übrigen fragt man sich, warum ein moderner Hauptbahnhof keine Anbindung zur U-Bahn hat, und warum er bald nur noch durch Gucklöcher zwischen den vielen, neuerrichteten Gebäuden zu bewundern sein wird. Auch hier lief etwas gründlich schief.

Das leidige Thema Gentrifizierung in Berlin will ich an diesem Tag nicht weiter vertiefen. Doch jeder sieht und spürt die schlimmen Konsequenzen. Es ist an der Zeit, dass Politiker aller Couleur Verantwortung für die Menschen übernehmen, die systematisch von zentralen Wohngebieten in Mitte und sonstwo rausgeekelt werden. Wie wird das Zentrum von Berlin aussehen, wenn die Stadt nur noch zu Shopping-Malls und Residenzen für Millionäre verkommt?

Die gute, fast euphorische Stimmung in und um Berlin will ich niemandem verderben. Die Stadt lebt. Die Stadt war und bleibt spannend. Gerade der heutige Tag, mit den vielen Veranstaltungen zum 25 Jubiläum des Mauerfalls, ist ein ganz besonderer Höhepunkt. Die Freude ist ungeteilt. Wir alle wollen dabei sein und bei der riesigen Party mitmachen.

Doch die Besonderheit dieses Tages besteht auch darin, sich an die Schwächen von Berlin zu erinnern und sich für eine bessere Stadt zu engagieren. Allzulang hat Berlin (und zwar beide Teile) von Subventionen gelebt. Auch heute noch ist das weitgehend der Fall. Das hat zu einer politischen Kultur beigetragen, die häufig Flucht aus der Verantwortung begünstigt.

Wir Bürger sind nun aufgerufen, gegen die Mißtände selbst zu kämpfen. Das ist wohl möglich, wenn die Zivilgesellschaft wachgerüttelt wird, und die Menschen von den vielen rechtsstaatlichen Möglichkeiten zur Einflussnahme auf Politik und Verwaltung aktiv Gebrauch machen. Noch gibt es bei vielen Bürgern die Mauer der Angst, der Resignation und der Gleichgültikeit. Diese sollte heute wie ein Luftballon in den Himmel von Berlin verschwinden.

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Mauern in der Welt

Bürgerengagement in Berlin Mitte

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