Die Konfrontation zwischen Schiiten & Sunniten bestimmt die Lage im Irak; daran ändert auch die schöne Zukunftsvision von Obama nichts
Al Akhbar Al Arab: Kolonialgrenzen von Sykes Picot noch relevant? / Schiite Maliki der religiösen Diskriminierung bezichtigt / Al Jazirah: Maliki vom schiitischen Iran getragen / ...während Irak & Syrien zum Schlachtfeld werden / Al Madina: ...wo Araber auf sich selbst schießen
Vor zwei Tagen sprach US-Präsident Barack Obama von einer schönen Zukunftsvision. Er beschrieb einen Zustand, bei dem sich alle moderaten Kräfte im Irak einigen, um die Einheit des Landes zu sichern. Er stellte eine imaginäre irakische Regierung vor, die die Anliegen der Schiiten, der Sunniten, der Kurden und anderen Teilen der Bevölkerung fair und in guter Abstimmung vertritt. Er hat den Bogen noch weiter gespannt und sah die Nachbarländer Jordanien und die arabischen Monarchien am Golf an diesem wundersamen Projekt mitwirken. Er vergaß nicht einmal den Iran, der ebenfalls miteinbezogen wird, um die Harmonie im zukünftigen Irak aufrecht zu erhalten.
Als einer, der aus dem Orient kommt, habe ich mir für einige Minuten den Genuß eines Tausendundeine Nacht Märchens gerne erlaubt. Warum auch nicht? Warum nicht träumen? Warum nicht ein schönes Bild dessen zeichnen, was hätte sein können und eines fernen Tages vielleicht geschehen wird? Das ist doch ein spannendes Gedankenspiel, das zumindest für den Moment die jüngsten, schlimmen Entwicklungen vergessen lässt und wunderbare Inspiration bietet. Ein Präsident in der Rolle eines Traumtänzers, der viele Menschen mitreißt und neue Hoffnung weckt...
Doch leider reicht die Inspiration nicht so weit, dass ich sie guten Gewissens für meinen nächsten Beiträg verwenden könnte. Meine journalistische Pflicht ist es, die Tatsachen zu studieren und eine möglichst realitätsnahe Auswertung vorzunehmen. In diesem bestimmten Fall habe ich auf eigenes Wissen und langjährige Erfahrung zurückgegriffen. Zudem befragte ich Kommentatoren und Experten in der Region, die ja genauso wie ich nach jedem Hoffnungsschimmer greifen.
Das Ergebnis stand schnell fest: Die Beschreibungen von Obama entbehren jeder realistischen Grundlage. Sie stellen eine Flucht in illusionäre Wünsche dar, die keinerlei Chance auf eine Verwirklichung haben. Daran werden auch die dreihundert Experten nichts ändern, die die USA in den Irak schicken will, um die Lage vor Ort besser einzuschätzen. Die Situation wird auch nicht besser, wenn die Obama-Emissäre einige Ziele ausmachen, die durch eventuelle Luftschläge bombardiert werden sollten.
Die von Obama so fabelhaft vorgestellte Zukunftsvision für den Irak scheitert an einer jahrhunderte alten Rivalität zwischen Schiiten und Sunniten. Die tiefe religiöse Überzeugung und die Loyalitäten, die daraus entstehen, sind momentan die bestimmenden Kräfte. Die Konfrontation ist äusserst hart und in absehbarer Zeit nicht zu überwinden. Weder schöne Reden noch westliche Bomben kann das aus der Welt schaffen. Hierzu habe ich einige Zeichnungen aus saudischen Zeitungen zusammengestellt, die die muslimisch-muslimische Feindseligkeit aktuell dokumentieren.
Lesen Sie bitte auch diese Beiträge:
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Schlagwörter: schiiten, sunniten
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